Rede zum Thema „Einrichtung eines zentralen Registers auf europäischer Ebene für strafrechtlich verurteilte Drittstaatler“

Rede in der Nacht vom 20.5.2021 auf den 21.5.2021 – Diese Rede wurde zu Protokoll gegeben.

 

Sehr geehrter Herr Präsident,

sehr geehrte Frau Präsidentin,

sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

 

zu später Stunde reden wir hier im Plenum zu ECRIS, dem European Criminal Records Information System, dem Europäischen Strafregisterinformationssystem.

Hierbei handelt es sich ursprünglich nicht etwa um ein zentrales einheitliches EU-Strafregister, sondern um ein System, was die bestehenden Strafregister der Mitgliedstaaten vernetzt.

Die nationalen Strafregister werden weiterhin von den Mitgliedstaaten nach ihrem jeweils geltenden innerstaatlichen Recht verwaltet und geführt.

Den elektronischen Datenaustausch über ECRIS gibt es bereits seit dem 27. April 2012. Mit Hilfe dieses Informationssystems werden alle Verurteilungen von Bürgerinnen und Bürgern der Europäischen Union durch die Gerichte der Mitgliedstaaten an die jeweiligen Heimatstaaten übermittelt und dort gespeichert. Unabhängig davon, in welchem Mitgliedstaat eine Verurteilung erfolgt, gespeichert wird dies zentral im Heimatstaat, wo dann auch schnell und effizient Vorstrafen abgefragt werden können.

 

Bisher waren eine solche zentrale Speicherung sowie die Abfrage der Vorstrafen von Drittstaatsangehörigen jedoch nicht möglich. Gespeichert werden die Straftaten nur in dem Land, in dem die Verurteilung erfolgt. Es erfordert daher in diesen Fällen eine zeitaufwändige Abfrage an alle Zentralregister in den Mitgliedstaaten, was mit erheblichen bürokratischen Hürden verbunden ist.

NEU ist jetzt die Verordnung (EU) 2019/816. Sie gilt unmittelbar in den Mitgliedstaaten und regelt die Einrichtung eines zentralen Systems ECRIS-TCN (European Criminal Record Information System for Third Country Nationals). Dieses neue System wird zentral auf der Ebene der Europäischen Union errichtet. Mit der Einrichtung und Verwaltung des Systems wird die Europäische Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Großsystemen im Bereich Freiheit, Sicherheit und Recht (eu-LISA) beauftragt. In ECRIS-TCN werden personenbezogene Daten und insbesondere Fingerabdrücke von rechtskräftig verurteilten Drittstaatsangehörigen gespeichert.

Wie wichtig diese Erweiterung ist, zeigt sich am Kriminalfall Maria. Sie wurde am 16. Oktober 2016 in Freiburg im Breisgau vergewaltigt und anschließend ermordet. Ihr Mörder, H.K., war als Flüchtling aus Afghanistan über das EU-Land Griechenland nach Deutschland gekommen. Bei seinem Asylantrag hatte er behauptet, minderjährig zu sein und wurde daher als „unbegleiteter minderjähriger Ausländer“ eingestuft. Im Strafprozess räumte er ein, bei der Einreise nach Deutschland schon volljährig gewesen zu sein, und legte ein Geständnis ab. H.K. wurde im März 2018 vom Landgericht Freiburg wegen Mordes und besonders schwerer Vergewaltigung nach Erwachsenenstrafrecht zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Das Gericht ordnete schließlich Sicherungsverwahrung an und stellte die besondere Schwere der Schuld fest.

Hätte diese Tat verhindert werden können?

Der Täter wurde am 8. Januar 2013 in Tyros als unbegleiteter minderjähriger Ausländer registriert.

Am 26. Mai 2013 verübte er auf Korfu einen Raubüberfall auf eine Studentin und warf sie über ein Geländer eine Klippe hinunter; sie überlebte den zehn Meter tiefen Sturz schwer verletzt.

Wegen Diebstahls und versuchten Totschlags wurde er am 12. Februar 2014 zu einer Jugendstrafe von 10 Jahren verurteilt und in einem Gefängnis für Jugendliche in Volos inhaftiert.

Sein Asylgesuch lehnten die griechischen Behörden im Mai 2014 ab.

Am 31. Oktober 2015 kam er durch ein Amnestiegesetz der Regierung Tsipras gegen Meldeauflagen auf Bewährung frei. Als er seiner Meldepflicht nicht nachkam, widerrief das Justizministerium die Bewährung und schrieb ihn  national zur Fahndung aus, jedoch nicht international. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits in Deutschland, eingereist Anfang November 2015 – illegal über Österreich, wo er ohne Vorlage von Personaldokumenten bei der Polizei in Freiburg einen Asylantrag gestellt hatte.

Trotz mehrerer EU-weiter Systeme zum Datenaustausch wurde seine kriminelle Vergangenheit in Griechenland von deutschen Behörden nicht erkannt:

In der europäischen Fingerabdruckdatenbank EURODAC sollen Fingerabdrücke eingespeist werden bei Stellung eines Asylantrages. Bei der Bearbeitung von Asylanträgen besteht eine Verpflichtung, diese EURODAC-Datenbank abzufragen. Informationen über Verurteilungen oder Fahndungsmaßnahmen sind dort nicht gespeichert.

Auch über das Schengener Informationssystem SIS, das für die Personen- und Sachfahndung benutzt wird, konnte der Täter in Deutschland nicht auffallen, da er von den griechischen Behörden nur national zur Fahndung ausgeschrieben worden war.

Das Europäische Strafregisterinformationssystem ECRIS enthält nur Informationen über Verurteilungen von EU-Bürgern, nicht aber Daten von Drittstaatsangehörigen.

 

Es wird daher Zeit für einen Lückenschluss durch ECRIS-TCN.

Dieses zentrale System geht über ECRIS hinaus und dient auch der Identifizierung von Personen aus Drittstaaten und damit auch dem Kampf gegen Identitätsbetrug. So werden die zuständigen nationalen Behörden in den Bereichen Sicherheit, Grenzmanagement und Migrationssteuerung sowie Visabearbeitung und Asylgewährung unterstützt.

Damit die Verpflichtungen aus der EU-Verordnung erfüllt werden können, bedarf es noch einiger zusätzlicher Durchführungsbestimmungen. Z.B. bedarf es u.a. einer Änderung der Strafprozessordnung StPO und des Bundeszentralregistergesetzes, um den verpflichtenden und unmittelbar geltenden unionsrechtlichen Vorgaben auch datenschutzrechtlich und trotzdem effizient gerecht zu werden beispielsweise bei der Aufnahme von Fingerabdrücken.

Dem tragen wir mit dem Gesetz zur Durchführung der EU Verordnung Rechnung.

 

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!