Vielleicht stellen sich manche unter ihnen die Frage, warum die Fraktionen von SPD und CDU heute einen Antrag gegen Hass, Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus und Angriffe auf die Menschenwürde einbringen. Gibt es etwa nichts Wichtigeres? Für mich nicht. Warum?
Vor 75 Jahren befreite die russische Armee die Häftlinge des Konzentrationslagers von Auschwitz. Die Bilder der ausgehungerten, bis aufs Skelett abgemagerten Menschen lässt mich seit meiner Jugend, wo ich sie zum ersten Mal sah, nicht mehr los. Mein geliebtes Land der Dichter und Denker war zum Land der Henker geworden. Juden, Zigeuner, Homosexuelle, Sozialisten und Kommunisten, Behinderte und andere sogenannte „Nichtarier“ fielen einem Rassenwahn von beispielloser Grausamkeit zum Opfer. Millionen ermordet, gleich nebenan, verurteilt zum Tod durch Arbeit. Ich stelle mir bis heute die Frage: Wie konnte das geschehen? Und: Wie kann es sein, dass die NS-Ideologie überdauert hat?
Lassen sich gesellschaftliche und politische Herausforderungen etwa durch Hass und Rassenwahn bewältigen? Ist es nicht irrsinnig, sich anderen Menschen überlegen zu fühlen, bloß weil man weiß, blauäugig oder blond ist und in unserem Teil der Welt geboren wurde? – Weil man nicht jüdisch oder muslimisch ist und nicht aus Afrika oder aus Syrien stammt? Was würden wir uns wünschen, wären wir auf der Flucht und unsere Leben bedroht? Oder stellen Sie sich einmal vor, Sie wären jüdisch in unserem Land? Wie wäre Ihnen bei Angriffen auf ihr Leben oder auf Ihren Besitz zumute? – Solange Synagogen bewacht werden müssen, solange geht das Gespenst Antisemitismus um in unseren Straßen und Gassen und spukt vor allem in Herz und Hirn.
So fordere ich Sie auf, genau hinzuhören auf den Sprachgebrauch der neuen Nazis und kein typisches Wort Hitlerdeutschlands zu tolerieren. Es wundert mich, wie ungeniert ein Björn Höcke NS-Begriffe verwendet und wie gelassen unsere Justiz darüber hinwegsieht. Beenden wir die Verharmlosung des NS-Denkens. Denn nichts aus dieser Diktatur war und ist harmlos. Besonders ihre Demagogie nicht, die u.a. Menschen mit Tieren verglich, deren Ausrottung so sinnvoll erschien wie die Vernichtung von Ratten. Wem es da nicht gruselt, dem mangelt es an Menschlichkeit.
Wir waren Weltmeister der Vernichtung. Lassen sie uns zu Weltmeistern in Demokratie und Mitbestimmung für alle in unserem Land sein, in unseren Kreisen, Städten und Gemeinden, ganz gleich welcher Herkunft und welchen Glaubens wir sind. So wie es unser Grundgesetz, Artikel 1 und 2 vorsieht: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ und „Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit.“ Verstöße dagegen sind wie deren Duldung oder Verharmlosung Unrecht.
Darum: Stimmen Sie unserem Antrag zu, künftig entschieden gegen Extremismus und Populismus, die beiden großen Gefahren der jüdischen und freiheitlich-demokratischen Gemeinschaft, vorzugehen. Stimmen Sie unserem Antrag zu, das Übel Antisemitismus stets ungeschönt beim Namen zu nennen und keinesfalls schweigend zu tolerieren.
Vielen Dank!